Sprache im Wandel

Die Mohrenstraße und das Ringen um Worte

In Deutschland schwellt ein Streit um Straßennamen und Kasernen. Während es bei Bundeswehrkasernen mehr um die Namensgeber geht, rücken bei Straßennamen auch häufig Begriffe aus der Vergangenheit in den Mittelpunkt.

Die Namen waren lange unumstritten. Aber die Bedeutung der Sprache wandelt sich: Was heute noch akzeptiert wird, ist morgen ein No Go. Gendern am Beginn der Nuller-Jahre: noch die Ausnahme. Heute kommt niemand mehr drum herum. Aber was macht dies mit uns und welche Auswirkungen hat es für das, was wir schreiben und sagen?

Ein umstrittener Straßenname

Die Mohrenstraße in Berlin ist seit Jahren Gegenstand einer hitzigen Debatte. Im Zentrum steht ein Name, der auf den ersten Blick harmlos erscheinen mag – doch bei genauerem Hinsehen trägt er schwer an der Last der Geschichte.

Das Wort „Mohr“ stammt aus Zeiten, in denen Menschen mit dunkler Hautfarbe als fremd, exotisch oder minderwertig betrachtet wurden. Auch wenn der Begriff im 18. oder 19. Jahrhundert nicht zwangsläufig beleidigend gemeint war, lässt sich seine kolonial-rassistische Herkunft heute nicht mehr ignorieren.

Die Diskussion um die Umbenennung der Straße ist daher kein lokaler Kuriositätenstreit, sondern Teil eines viel größeren Prozesses: dem Wandel unserer Sprache.

Allerdings wird dieser Deutung von konservativer Seite widersprochen. Die CDU betont, dass „Mohr“ mit schwarzer Hautfarbe nichts zu tun hat, sondern mit „Maure“ und dem Verweis auf Menschen aus dem Magreb – insbesondere aus der historischen Region Mauretanien.

Hinzu kommt: In der mittelalterlichen Terminologie wurde „Mohr“ häufig neutral oder sogar ehrenvoll verwendet, etwa im Zusammenhang mit der Darstellung des Heiligen Mauritius oder eines der Heiligen Drei Könige. Diese historische Herkunft, so die Union, spreche gegen die Annahme, dass es sich um einen durchweg rassistischen Begriff handle.

Eine Umbenennung der Straße beruhe demnach auf einer modernen Fehlinterpretation eines historisch gewachsenen Namens.

Worte formen Wirklichkeit

Sprache ist nicht neutral. Sie formt, wie wir denken, wie wir fühlen und wie wir andere Menschen wahrnehmen. Wir transportieren mit Begriffen deshalb nicht nur einen Inhalt, sondern laden diesen mit Werten und Weltbildern auf – die jedoch auch abhängig von unserem eigenen Kontext sind.

Selbst innerhalb des eigenen Kulturkreises sind Begrifflichkeiten unterschiedlich besetzt: sowohl regional als auch soziokulturell. Was in der einen Gruppe eine akzeptierte Kommunikationsform darstellt, kann in einer anderen sozialen Gruppierung als offensiv bis aggressiv empfunden werden.

Was und wie etwas gesagt wird entscheidet damit über in und out einer Gruppe. Nur wer die Sprache spricht, wird auch akzeptiert. Paare, die aus unterschiedlichen Gruppen stammen, merken dies sehr schnell: hier kann es passieren, dass sie von der Herkunftsgruppe abgelehnt werden oder dass ein Partner den Kontakt zu seiner Familie fast vollständig verliert, weil sich dieser Teil der Gruppe des Partners anpasst – und damit die Akzeptanz seiner Herkunft verliert.

Die verwendete Form der Sprache hat auch Einfluss darauf, wer gehört wird, wer dazugehört und wer ausgeschlossen bleibt. Gerade deshalb muss Sprache hinterfragt werden, ob sie verletzt oder herabwürdigt – oder auch überhaupt verstanden wird.

Sprache ist jedoch nicht nur gruppenabhängig, sondern auch dem zeitlichen Wandel unterworfen. Ein Blick nach Namibia macht dies deutlich. Wer Anfang der 1990er Jahre in die ehemalige deutsche Kolonie gereist ist, erlebte eine deutsche Sprache, die dem Stand von 1919 und dem Abzug der deutschen Kolonialtruppen entsprochen hat. Die Abgeschnittenheit durch die südafrikanische Kolonialisation hat die Sprachentwicklung verhindert – um dann in einem rasanten Tempo rund 70 Jahren aufzuholen. Hier wurde deutlich: Was früher als „normal“ galt, wird heute neu bewertet, stößt auf Ablehnung oder wurde gar nicht mehr verstanden. Nicht, weil wir empfindlicher geworden sind, sondern weil sich sowohl das sprachliche wie das gesellschaftliche Bild verändert hat und stärker auf die Bedeutung geachtet wird.

Straßennamen als Spiegel der Machtverhältnisse

Straßennamen sind Ausdruck ihrer Zeit – und damit Ausdruck ihrer Sprache. Auch hier kann wieder auf Namibia verwiesen sein. In den Straßen Windhoeks waren bis nach der Jahrtausendwende vielfach deutsche Namen verzeichnet. Die frühere Leuweinstraße, einer der führenden deutschen Kolonialisten in Namibia und mitverantwortlich für die Massaker an den Hereo und Nama, passt nicht mehr in das unabhängige Namibia. Die Umbenennung in Robert Mugabe Avenue stieß wiederum in Europa auf Unverständnis, stand Mugabe als zimbabwischer Präsident doch eher für Autokratie als für Demokratie. Namibia verband jedoch mit dem Präsidenten des Nachbarlandes eine Übereinstimmung und Verbundenheit im Befreiungskampf.

Hier zeigt sich bereits, dass in jede Bezeichnung der Kontext zu berücksichtigen ist. Leutwein galt in der ehemaligen deutschen Kolonialverwaltung als Held, Mugabe wurde mit dem neuen Namibia verbunden und deshalb geehrt.

In Berlin führen Gegner der Umbenennung deshalb auch an, dass mit der Tilgung von Straßennamen wie „Mohrenstraße“ historisch gewachsener Namen auch ein Stück Stadtgeschichte ausgelöscht werde. Die Mohrenstraße sei Teil der Berliner Identität – ihre Umbenennung eine überzogene Maßnahme der sogenannten Cancel Culture.

Doch diese Argumentation übersieht, dass auch Straßennamen nie neutral waren – weder in Namibia noch in Deutschland. Sie sind Ausdruck dessen, was eine Gesellschaft als erinnerungswürdig empfindet. In der Weimarer Republik ehrte man Demokraten, in den Kolonien die Führer der Besatzungsmacht, in der NS-Zeit Hitler-Anhänger, in der DDR Kommunisten.

Straßennamen sind kein statisches Erbe, sondern politische Aussage.

Symbolische Kraft der Sprache

Wer Sprache verändert, verändert nicht automatisch die Welt. Aber er verändert, wie wir über die Welt sprechen – und das ist ein Anfang. Die Umbenennung der Mohrenstraße ist ein symbolischer Akt, ja. Aber Symbole sind mächtig. Sie zeigen, wer in einer Gesellschaft sichtbar ist – und wer nicht. Es geht nicht darum, Geschichte zu löschen, sondern sie bewusst zu reflektieren. Es geht darum, aus Worten Brücken zu bauen – nicht Mauern.

Natürlich darf dieser sprachliche Wandel nicht bei der Oberfläche stehen bleiben. Eine Gesellschaft, die ihre Straßennamen ändert, muss sich auch fragen, wie sie strukturellen Rassismus im Bildungssystem, auf dem Wohnungsmarkt oder in der Polizei bekämpft. Aber Symbolpolitik und praktische Politik schließen sich nicht aus – im Gegenteil: Sie ergänzen einander.

Die Sprache, die wir wählen, sagt etwas darüber aus, welches Miteinander wir wollen. Wer heute noch darüber streitet, ob „Mohr“ beleidigend sei, sollte sich vor allem eines fragen: Warum halten wir so hartnäckig an Begriffen fest, wenn sie andere verletzen – und wir längst bessere Worte haben?

Fazit: Sprache als Generationenaufgabe

Die Mohrenstraße erinnert uns daran, dass Sprache nicht nur beschreibt, sondern prägt. Und dgass jede Generation entscheiden muss, welche Worte sie mit sich weiterträgt – und welche sie getrost hinter sich lassen kann.

Wollen Sie Ihre Texte prüfen lassen, ob sie noch auf der Höhe der Zeit sind. Schreiben Sie Ihre Meinung hier und lassen Sie uns ins Gespräch kommen.